Kultusminister Piazolo ist nicht gerade ein Volkstribun in der bayerischen Politik. Die Kritik an ihm erscheint grundsätzlich, aber auch überzogen, zum Teil fehlgeleitet. Dass er gehen muss, scheint unwahrscheinlich. Zumindest im Moment.
München (dpa/lby) – Politiker, die etwas voranbringen, werden gern mit Attributen bedacht wie «anpackend» oder «hemdsärmelig». Michael Piazolo, Staatsminister für Kultusangelegenheiten und damit sozusagen oberster Lehrer Bayerns, nennt niemand so. Piazolo hat Bücher geschrieben, er kann zur Sicherheitspolitik der EU genauso sprechen wie zu Rechtsstaatsprinzipien oder zur Justiz in Diktaturen. Piazolo wird allgemein als höflich wahrgenommen, als fachlich versiert und klug. Krisenmanager aber, Männer und Frauen, wie sie zur Bewältigung der Corona-Pandemie gebraucht werden, sind aus einem anderen Holz geschnitzt, als der belesene 61-Jährige mit der Intellektuellen-Brille – so jedenfalls die mediale Wahrnehmung.
Piazolo steht vor dem Neustart des bayerischen Distanzunterrichtes an diesem Montag mitten im Auge eines Shitstorms, den man getrost auch als Orkan bezeichnen kann. So ziemlich alles, was an Bayerns Schulen zur Zeit nicht läuft, wird dem gebürtigen Stuttgarter angelastet – von Lehrerverbänden, Elternorganisationen, Gewerkschaften, Kommunen und natürlich von der Opposition. Zum Teil sind es Dinge, für die er den Kopf hinhalten muss. Anderes aber fällt nicht einmal in sein Ressort oder geht auf Zeiten zurück, in denen er nicht Minister war.
Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetages und mit dem Parteibuch der CSU ausgestattet, spricht sogar von einer «Bankrotterklärung» der bayerischen Bildungspolitik. Im Zusammenhang mit Piazolos Arbeit benutzt er das Wort «unerträglich». Auch die Lehrerverbände sparen nicht mit Kritik. «Ich kann jeden verstehen, der sagt: Jetzt reicht’s langsam!», ließ sich etwa der Vorsitzende des bayerischen Philologenverbandes, Michael Schwägerl, in einer Mitteilung seines Verbandes zitieren. Die Lehrerinnen und Lehrer seien hochbelastet und jetzt würden ihnen auch noch die Winterferien genommen.
Abseits der Pressemitteilungen von Lobbyverbänden sieht die Welt ein wenig anders aus. Fehlende Laptops und Raumlüfter hat nicht das Kultusministerium für Bayerns Schulen zu besorgen, sondern nach den Regelungen des bayerischen Schulgesetzes der Sachaufwandsträger – und das sind die Landkreise und kreisfreien Städte. Die Klage, den Schülern und Lehrern fehle eine «Erholungsphase», wenn die Winterferien wegfielen, beißt sich mit früheren Aussagen, dass Lehrer die Faschingsferien ja dazu nutzen müssten, Zwischenzeugnisse zu schreiben.
Die Plattform Mebis, oft als Beispiel dafür genannt, dass Distanzunterricht nicht funktioniert, wird jeden Tag nur von jedem achten Schüler in Bayern angeklickt. Das Tool ist für den Distanzunterricht zumindest als alleiniges Instrument ungeeignet, weil es keine Videoplattform hat. Entwickelt wurde es 2012 – damals war Piazolo noch Generalsekretär seiner Freien Wähler und weit weg von Regierungsverantwortung.
Piazolo plädiert auf nicht schuldig im Sinne der Anklage seiner zahlreichen Kritiker. Einen Rücktritt schließt er kategorisch aus. Stattdessen verlautet aus einem Umfeld, man sei sich «nicht so ganz sicher, ob alle Akteure verstanden haben, was hier gerade passiert». Es gehe darum, ein Schuljahr zu retten, wie es noch nie da war.
Es gehe vor allem um die schwächeren Schülerinnen und Schüler, die Kinder aus sozial weniger gut gestellten Familien, um Brennpunktschulen und Förderangebote. «Wir haben gerade in den Städten Klassen mit 18 Kindern aus 16 Nationen», beschreibt Piazolo. Es dürfe nicht passieren, dass einige überhaupt nicht mehr an Schule teilhaben. Und deshalb müssten jetzt alle zusammenhalten, heißt es aus seinem Haus – statt auf hohem Niveau zu Jammern.
Dass es auch ohne Jammern, dafür mit Erfolg geht, zeigen schon jetzt viele Schulen in Bayern, darunter das Korbinian-Aigner-Gymnasium in Erding. «Wir haben eine gute Ausgangsposition, weil Digitalisierung schon lange vor der Corona-Pandemie hier einen hohen Stellenwert hatte», sagt Schulleiterin Andrea Hafner.
Die Strukturen seien so, dass man von Freitag auf Montag von Präsenz auf Distanzunterricht umsteigen könne, wenn dies nötig ist. Dazu haben die 100 Lehrer gemeinsam mit Eltern und Experten eine schuleigene Lernplattform entwickelt – Erklärfilme und Tutorien für Neuankömmlinge inklusive. Die Lehrkräfte wurden verpflichtet, ihre Klassen in der Lernplattform anzulegen. Elternsprechtage und Lehrerkonferenzen per Videoschalte sind inzwischen Routine, das vielgescholtene Mebis spielt kaum eine Rolle.
Dass die Erdinger Oberstudiendirektorin bei Piazolos Pressekonferenz sprechen darf, ist wohl kein Zufall. Der Minister will an dem Beispiel zeigen: Mit entsprechendem Willen und der nötigen Portion Ausgeschlafenheit können die Schulen auch viel selbst tun, ohne immer mit dem Finger nach München zu zeigen.
Piazolo, als intellektueller Wahl-Münchner ein untypischer Vertreter der eher auf dem Land stark aufgestellten Freien Wähler, wird häufig als nächstes Krisenopfer in Markus Söders Kabinett nach Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) gehandelt. Zumal der Regierungschef nicht als geduldig gilt. «Wir brauchen disruptive Prozesse, die Bequemlichkeit, mit der sich der eine oder andere auch im öffentlichen Sektor eingerichtet hat, was die Digitalisierung betrifft, die muss ein Ende haben», betonte Söder noch am Freitag im Landtag.
Doch gilt ein rascher Austausch eher unwahrscheinlich – schon alleine, weil der Koalitionsfrieden in der bayerischen Regierung sonst empfindlich auf die Probe gestellt würde. Ein Störfeuer, das in der gegenwärtig stark angespannten Lage niemand brauchen kann.
Sein Parteichef Hubert Aiwanger sprang Piazolo ohnehin schon zur Seite. Ob die bedingungslose Treue des auch auf die Bundespolitik schielenden Aiwanger allerdings anhält, sollten die Umfragewerte der Freien Wähler weiter sinken, steht in den Sternen.
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