Es führt ein Gleis ins Nirgendwo Studie zu stillgelegten Bahnlinien

Von Martin Oversohl (Text) und Sebastian Gollnow (Foto), dpa

Unkraut sprießt zwischen den Bahnschwellen, die Schienen sind rostig. Nicht nur zwischen Ludwigsburg und Markgröningen fährt kein Zug mehr, auch viele andere Strecken sind stillgelegt. Das könnte sich für einige von ihnen ändern. Aber das geht nicht von heute auf morgen.

Berlin/Stuttgart (dpa/lsw) – Auf ihrem Weg von Ludwigsburg nach Markgröningen passieren die rostbraunen Schienen mehrere Brücken und Straßen, sie führen an kleinen Schranken vorbei, an einem Andreaskreuz, an Industrieanlagen und Feldwegen. Nur fährt hier seit vielen Jahren nichts mehr, der reguläre Personenverkehr wurde sogar schon Mitte der 1970er Jahre eingestellt, damals natürlich gegen den Willen der Anwohner.

Seit langem schon wird debattiert, wie wichtig eine Anbindung der 14 500-Einwohner-Stadt im Speckgürtel Stuttgarts ist. Mehrere Gutachten liegen vor, Kosten-Nutzen-Faktoren wurden errechnet, Pläne entworfen. «Wir wollen die Anbindung», sagt Stadtbaumeister Klaus Schütze. Markgröningen werde dadurch attraktiver für Pendler und Unternehmen, außerdem seien Züge sicherer als Busse und Autos.

Bislang wuchert das Unkraut zwar weiter, aber das Verkehrsministerium macht den Markgröningern Hoffnung. Die Verbindung gehört zu einem Dutzend Projekten, die nach einer Studie ein sehr hohes Nachfragepotenzial von mehr als 1500 Passagieren pro Schultag besitzen. Das gilt auch unter anderem für die Echaztalbahn zwischen Reutlingen und Engstingen, die Bottwartalbahn zwischen Marbach (Neckar) und Heilbronn sowie für die Strecke von Göppingen über Bad Boll nach Kirchheim/Teck. Insgesamt 20 weitere Strecken im Land könnten laut Analyse mit einem hohen oder mittleren Fahrgastaufkommen rechnen.

Für die Studie waren die Fahrgastpotenziale von insgesamt 42 stillgelegten Stecken untersucht worden. Für Baden-Württembergs Verkehrsminister ist es genau die richtige Zeit für eine Wiederbelebung der alten und oft fast vergessenen Verbindungen, sofern sie rentabel sind. Die Baukosten würden vom Bund mit bis zu 90 Prozent gefördert, das Land beteilige sich zudem an den verbleibenden Kosten, verspricht er. Der Grünen-Politiker räumt aber auch ein: «Man braucht Geduld, das geht nicht so schnell.» Erfolge wie die Ammertalbahn, die Schönbuchbahn und das sogenannte Seehäsle zeigten aber, dass es sich lohne. «Gerade weil die Straßen voll sind, ist die Schiene wieder attraktiv», wirbt der Grünen-Politiker.

Nach Angaben des Verbandes Allianz pro Schiene sind allein in Baden-Württemberg in den vergangenen 25 Jahren rund 178 Kilometer Eisenbahnstrecke für den Personenverkehr freigegeben worden, auf weiteren 25 werden nun Güter transportiert. Das sind laut Allianz mehr Kilometer als im selben Zeitraum abbestellt wurden.

Der Verkehrsclub Deutschland sieht das Land beim Thema Reaktivierungen deshalb auch bereits auf einem guten Weg. Baden-Württemberg setze ähnlich wie Hessen und Niedersachsen schon länger auf Reaktivierungen, um den Schienenverkehr zu beleben.

«Bei einer solchen Reaktivierung hat man zunächst mal einen Fuß in der Türe. Ausbauen kann man die Verbindung später immer noch», sagt zudem der Pro Bahn-Landesvorsitzende Stefan Buhl. «Es ist wichtig, mit Verstand an solche Projekte zu gehen und nicht gleich die Luxuslösung für eine Strecke zu erwarten.» Buhls Fahrgastverband Pro Bahn, der Mitglied in der Allianz pro Schiene ist, argumentiert mit Umweltaspekten. Außerdem feierten bereits wiederbelebte Strecken große Erfolge. Zum Teil seien Prognosen, die vor der Reaktivierung erstellt wurden, um das Zehnfache übertroffen worden.

Das gilt auch für die 1996 wieder in Betrieb genommene Bahn Seehäsle zwischen Radolfzell und Stockach, mit der heute rund 3500 Menschen pro Tag unterwegs sind: Erwartet worden waren nur die Hälfte davon. «Das Seehäsle wird sehr gut angenommen und akzeptiert. Die Leute identifizieren sich damit», bilanziert der Landrat des Kreises Konstanz, Zeno Danner.

Diese Erfolge könnten ein nicht zu unterschätzendes Argument sein, denn Bund und Bahnindustrie wollen in den kommenden zehn Jahren zwar die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene verdoppeln. Gleichzeitig soll der Eisenbahn-Anteil am Güterverkehr von derzeit 19 auf dann 25 Prozent wachsen. Klar ist aber auch: Angesichts stetig wachsender Fahrgastzahlen ist die aktuelle Schieneninfrastruktur längst an der Belastungsgrenze angekommen. Zu häufig kommen sich Güter- und Personenverkehr in die Quere. Verspätungen, unzufriedene Kunden und ein kaum wachsender Anteil des Schienengüterverkehrs sind die Folge.

Der sogenannte Deutschlandtakt gilt jetzt als wichtigstes Instrument, um das Ziel von Bund und Bahn zu erreichen. Er sieht eine dichtere Taktung auf den Stammstrecken zwischen den großen Städten vor. Vor allem aber soll er eine bessere und lückenlosere Anbindung der ländlichen Räume gewährleisten. Und zahlreiche vorgeschlagene Strecken sind nach Angaben von Allianz pro Schiene auch im Zielfahrplan des Deutschlandtaktes hinterlegt.

DanielPopp