Vom Schaf zum Faden

Mir gefällt alles hier, vor allem die Schafe“, meinte Leon E., 11 Jahre alt. „Und mir gefällt die Wolle, weil sie so weich ist“, so sein Zwillingsbruder Dominik und hält sich ein fertig kardiertes Vlies an die Wange. Beide Kinder sitzen im Rollstuhl und beide nahmen an der Ferienfreizeit der zur Lebenshilfe Schweinfurt gehörenden Heilpädagogischen Tagesstätte am Förderzentrum Schonungen teil. In der ersten Ferienwoche am Dienstagmorgen ging es für den ersten Teil der Teilnehmer hoch hinaus auf den Mainberger Kaltenhof, wo am sogenannten „Ascher“, ein Streuobstgrundstück, alles für den Erlebnistag „vom Schaf zum Faden“ vorbereitet war. Bei bestem Wetter an insgesamt drei Vormittagen konnten rund 30 Kinder und Jugendliche der Ferienfreizeit die Entstehung eines Wollknäuels unmittelbar und interaktiv erleben – und waren begeistert.

Ermöglicht hatte das der Schweinfurter Verein „Gemeinsam Leben Gestalten“,

der es sich zur Aufgabe gemacht hat, nachhaltigen Wandel vor Ort im Hinblick auf Naturschutz und Landschaftspflege sowie Erziehung und Bildung zu fördern. So sind auch die Aktionstage für Kinder entstanden. Neben dem Angebot „Apfelernte und Saftherstellung“ ist das Angebot „Vom Schaf zum Faden“ ein ganz besonderes Angebot. Neben der Wollherstellung, bei dem jedes Kind jeden Arbeitsschritt abwechselnd selbst ausführen darf, wird jeweils genügend Zeit für Streicheleinheiten und zum Kennenlernen der Schafe und Lämmer eingeräumt. Das punktet und ist jedes Mal erneut das Highlight des „Schafstages“.

Für Vereinsmitglied und Organisatorin Hanne Schumm und ihrem Team ist es eine Herzensangelegenheit, Kindern und Jugendlichen die Produkte der Natur nahezubringen. „In unserer virtuellen Welt sollen Kinder wieder mehr Ehrfurcht vor der Natur, der Erde, vor Tieren und Boden bekommen“, erklärte Schumm ihr Engagement für den Verein und vor allem für die Schafshaltung und nachhaltige Wollverarbeitung. „Und außerdem“, ergänzte sie schmunzelnd, „spinne ich einfach gerne“.

Aufgebaut hatte sie zusammen mit den pädagogischen Kräften Edith Kuhn und Traudl Schmitz, ebenso Mitglieder im Verein „Gemeinsam Leben Gestalten“ fünf Arbeitsstationen: Ausbreitung des Schur und Entfernung der verschmutzen Teile, Waschen der Schur in fünf verschieden temperierten Bottichen, Trocknen der Wolle in der Sonne, Kardieren, d. h. Kämmern der Wolle mittels Kardiermaschine und letztendlich das Spinnen am Spinnrad zur Herstellung eines langen Wollfadens. Stolz präsentierten die Kinder und Jugendlichen ihre selbstgesponnen Fäden, die sie teils zu Armbändchen „drillerten“ oder flochten und mit nach Hause nahmen.

Initiiert wurde die Ferienaktion von Christine Fitz, Erzieherin und Gruppenleiterin an der Tagesstätte Schonungen. Sie selbst kennt sich aus im Wolle verarbeiten und war sofort vom Angebot des Vereins „Gemeinsam Leben Gestalten“, überzeugt. Ein Projekt, das die Entstehung der Wolle erlebbar macht, wobei viele Sinne, wie Fühlen, Riechen oder die Motorik angesprochen würden, erklärte sie.

Nicht ganz einfach für das Team von „Gemeinsam Leben Gestalten“, war diesmal die Umsetzung des Projekts „Schaf“ für die Kinder und Jugendlichen mit körperlichen Einschränkungen. Der „Ascher“ mit steilem Schotterwegzugang und unwegsamem Gelände und Wiese, brachte einige Herausforderungen mit sich. Aber das Team um Schumm löste die Logistik perfekt und die Stationen wurden so platziert, dass sie auch von den Rollstuhlfahrern oder gehbehinderten Teilnehmern einfach zu meistern waren. „Wir sind eben immer für alles offen“, freute sich Schmitz über das gute Gelingen der Premierenveranstaltung mit Elektrorolli & Co.

Überzeugt waren auch der stellvertretende Tagesstättenleiter Andreas Burger und die Betreuerinnen aus der Tagesstätte, Anja Schor, Anna Blömeke (Heilerziehungspflegerinnen) und Erzieherin Christine Fritz. „Schön zu sehen, wie die Kinder eintauchen, eintauchen in eine ihnen unbekannte Welt“, so Fritz. Denn mit Freude konnte man die jungen Freizeitteilnehmer beobachten, wie sie voll bei der Sache und begeistert waren, als sie ein selbstkardiertes Vlies in der Hand hielten, sahen, wie weiß die Schur nach dem langwierigen Waschprozedere ist, oder wenn aus dem Spinnrad ein selbstgesponnener ellenlanger Faden kommt.

Ein überaus gelungenes Ferienprojekt für den Verein „Gemeinsam Leben Gestalten“, für die Organisatoren der Ferienfreizeit und der Teilnehmer selbst. Große Begeisterung dann nochmal, wenn am Ende des „Wollverarbeitungstages“ der Besuch auf der nahen Schafsweide anstand: der perfekter Abschluss eines perfekten Tages.

Die Heilpädagogische Tagesstätte am Förderzentrum Schonungen, eine Einrichtung der Lebenshilfe Schweinfurt mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, dient der individuellen Förderung, Bildung, Pflege und Betreuung von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Die Schonunger Tagesstätte, die rund 120 Kinder und Jugendliche besuchen, ist eine konzeptionell eigenständige und auch eine familienergänzende und -entlastende Einrichtung. So werden, um dies zu gewährleisten, auch während den Ferienzeiten unterschiedliche ganztägige und altersübergreifende Ferienfreizeiten angeboten.

Rafif A. (13 Jahre), Teilnehmerin des Ferienangebots der Heilpädagogischen Tagesstätte Schonungen „Vom Schaf zum Faden“, lacht über beide Ohren. Ihr selbstgesponnener Faden ist so lang, dass Hanne Schumm vom Schweinfurter Verein „Gemeinsam Leben Gestalten“ und Organisatorin der Aktionstage am Ascher in der Nähe des Mainberger Kaltenhofs sogar auf einen Stuhl steigen muss, um den Faden gut verdrillen zu können. Sie und ihr Team sind mit Herz und Seele dabei und machen die „Schafstage“ erstmalig für Kinder und Jugendliche mit körperlichen und motorischen Einschränkungen möglich.

Erst muss der Schmutz mit Hand aus der Schur gezupft werden, bevor das Wollvlies aufwendig gewaschen wird: Fabio F. (14 Jahre) und Rafif A. (13 Jahre, 2. v. l.) aus der Heilpädagogischen Tagesstätte am Förderzentrum Schonungen erleben in ihrem gewählten Ferienangebot „Vom Schaf zum Faden“ hautnah und unmittelbar wie aus der Schafsschur ein Faden entsteht. Edith Kuhn (links) vom Verein „Gemeinsam Leben Gestalten“ kontrolliert akribisch genau die Wassertemperatur in den fünf Bottichen. Um zu entfetten, aber nicht zu verfilzen wird die Rohwolle nacheinander bei Temperaturen von 50 bis 20 Grad gewaschen. Kuhn sowie alle Mitwirkenden bei den Aktionstagen sind mit Herz und Seele dabei und machen die „Schafstage“ erstmalig für Kinder und Jugendliche mit körperlichen und motorischen Einschränkungen möglich.

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